
Teil 1: Der dreifaltige Instinkt
Prolog
Wenn du dich entscheiden müsstest für eines von zwei Versprechen, das dir dann für den Rest deines Lebens erfüllt werden würde, welches von den beiden würdest du wählen:
- das Versprechen, von nun an durch und durch voller Liebe für andere zu sein,
oder - das Versprechen, dich von nun an durch und durch geliebt zu fühlen?
In diesem Essay werden wir uns mit den Implikationen dieser Frage und ihrer möglichen Antworten, mit den Problemen und Hürden, die sie aufwerfen und mit der Bewusstseinsdimension beschäftigen, zu der sie den Zugang ermöglichen und eröffnen könnten.
Wer an dieser Stelle zu sehr mit dem Wort „Liebe“ hadert, der kann sich die Frage auch in anderer Formulierung stellen:
- … von nun an immer fähig zu sein, andere zu sehen wie sie sind, sie zu akzeptieren und wertzuschätzen, oder
- dich von nun an stets gesehen, akzeptiert und gewertschätzt zu fühlen?
Zu diesem Text – Hinweise zum sinnvollen Lesen
Besinnen wir uns aber, bevor wir uns zu schnell in das reizvolle und scharfkantige Thema hineinstürzen, der speziellen Situation dieses Zusammenkommens.
Als Leser sind wir wie Zuhörer bei einem Vortrag, der sich nicht speziell nur an uns richtet, sondern an ein ganzes Publikum. Ein Vortrag funktioniert allerdings auch nur, wenn wir als Zuhörende anwesend sind. Der Grund zum Sprechen und Vortragen für den Vortragenden liegt primär in den Zuhörern, zu denen er spricht. Was wäre das für ein Vortrag, der vor leeren Stühlen stattfände? Wenn dies keine bloße Probe für den eigentlichen Vortrag ist, dann ist es wohl eine etwas bizarre Form des Selbstgesprächs.
Genauso ist auch ein solcher Essay wie dieser, so sehr er auch wie ein Ding oder ein Produkt für sich alleine stehen zu können scheint, eigentlich nur als das Ergebnis eines Zusammenkommens von Sprecher (Autor) und Zuhörer (Leser) zu verstehen. Ansonsten wäre er auch nichts weiter als ein Selbstgespräch, das man als Leser mit mehr oder weniger Erlaubnis bloß mit anhört. Was aber ist dann so ein Text anderes als eine Selbstdarstellung des Sprechenden oder Autors, als eine Selbstinszenierung auf einer literarischen Bühne?
Wenn es aber viel mehr um die Darstellung einer Botschaft geht, die den Zuhörer mindestens genauso betrifft und angeht wie den Autor, wenn es also mehr um die Botschaft als um den Botschafter geht, dann spielt der Zuhörer oder Leser eine sehr viel größere Rolle als nur die eines distanzierten Zuschauers oder Passanten.
Besinnen wir uns also für einen Moment auf dieses ungewöhnliche Zusammenkommen von Autor und Leser, das notwendig ist, damit es zentral um die Botschaft und nicht bloß um irgendeine Darbietung oder ein Unterhaltungsprogramm geht. Die schwierige Aufgabe für den aktiv teilnehmenden, das heißt mitwirkenden Leser besteht dann darin, sich vom Text zumindest adressiert, wenn nicht sogar gemeint und gefordert zu fühlen.
Die Anonymität dieses intellektuellen Stelldicheins, in dem Absender und Empfänger sich gar nicht persönlich begegnen, können wir als eine weitere Hilfe betrachten, die Botschaft des Textes in den Mittelpunkt zu stellen und daran das Motiv und den Zweck dieser schwer zu greifenden Verbindung zwischen Autor und Leser zu sehen. Erst dem derart aktiv teilnehmenden Leser wird klar, dass die Hälfte der Übertragungsarbeit von ihm selbst geleistet werden muss und es von ihm abhängt, ob der Text „Sinn ergibt“ oder nicht. Sinn bedeutet Richtung. Ob der Leser den Text als richtungsweisend oder zumindest richtungsdeutend liest, hängt von ihm ab, nicht vom Geschriebenen.
Wie aber schaffen wir es, uns angesprochen und nicht bloß unterhalten zu fühlen? Am sichersten, in dem wir nicht nur empfangsbereit sind, sondern uns in die Haltung eines Fragenden oder sogar eines Unsicheren und Richtungssuchenden begeben. Die Herausforderung, wertvolle Antworten ernst zu nehmen, obwohl man die dazugehörige Frage noch nie gestellt hat, liegt darin, sich von ihnen zunächst einmal zu den eigenen Fragen zurückführen zu lassen. Das ermöglicht es uns, unseren Bedarf an Antworten überhaupt erst zu erkennen und in uns zu lokalisieren. Ansonsten gehen die Antworten als bloße „Ideen“ oder „Ansichten“ und das geschriebene Wort als bloße „Abhandlung“ an uns vorüber.
Die Frage für den Leser sollte nicht sein: „Worum geht es in dem Text?“ oder „Worum geht es (vermutlich) dem Autor?“, sondern er sollte sich fragen: „Worum geht es mir?“, „Was von dem, was der Text anbietet, brauche oder suche ich? Was davon sollte ich zumindest suchen?“
Es mag durchaus sein, dass der Text den Anschein erzeugt, wichtige Botschaften zu enthalten, die angeblich dieser oder jener Leser gebrauchen könnte. Aber das ist nur ein Teil der Verpackung und der Versandmodalität des gesamten Pakets. Auspacken und sich zu eigen machen kann der Leser den Inhalt nur dadurch, dass er sich selbst zumindest die Frage beantwortet, wozu er den Inhalt – die darin eingewickelten Botschaften –gebrauchen kann.
Im Voraus lässt sich dies bei Antworten, nach denen wir noch gar nicht gefragt haben, kaum oder nur sehr unpräzise beantworten. Wir können aber den umgekehrten Weg leichter gehen: wenn wir es schaffen, den Inhalt des Paketes auszupacken und in irgendeiner Weise auf uns wirken zu lassen, dann werden wir nach einiger Zeit bemerken, wo und in welchem Maße er zu wahrnehmbaren Veränderungen bei uns führt.
Warum ist all das wichtig? Weil, „wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“, der, der hinter diesem Namen steckt, mitten unter uns ist.
Die Frage, die uns in diesem Text durchgehend begleiten wird, ist, was das ist, was da „mitten unter uns“ ist, wenn wir uns – Leser und Autor – in diesem geheimnisvollen Raum des Denkens, Sprechens und Hörens treffen und in wessen Namen wir dann versammelt oder gesammelt sind.
Würde der Autor seine Gedanken für sich behalten, wären weder er noch der Leser der Gefahr ausgesetzt, unter dem falschen Namen versammelt zu werden und dadurch ungewollte Kräfte und Mächte „mitten unter uns“ zu haben. Allerdings würde mit dem Verzicht auf dieses Risiko auch der Verzicht auf alle Chancen und Möglichkeiten zur richtigen Benennung und zu der erwünschten Gegenwärtigkeit einhergehen – und dann müssen wir davon ausgehen, dass wir ganz definitiv im Namen des Falschen und unter der Dominanz des Unerwünschten „mitten unter uns“ weitergehen, wie wir es gewohnt sein mögen, weil wir es nicht sehen können.
Dieser Essay erreicht den Leser nun aber ohne den Autor oder „Absender“. Der Leser muss sich also mit dem begnügen und zurechtfinden, was er lediglich als hinterlassene Spuren vorfindet. Auch wenn das keineswegs wenig ist – schon gar nicht im Vergleich dazu, eben gar keine Spuren zu haben oder gar falschen Spuren zu folgen – so ist es doch immer noch viel weniger als das, was unmittelbar als Wegweisung „vor Ort“, also an der jeweiligen einzigartigen Wegsituation jedes einzelnen Wanderers als Hinweis gegeben werden kann.
Es ist ein großer Unterschied, ob man einen Berg mit einem Bergführer oder bloß mit einer Landkarte oder Wegbeschreibung besteigt. An unzähligen Stellen kann der Weg versperrt, überschwemmt oder zugewachsen sein, oder man benötigt spezielle Werkzeuge oder Fertigkeiten, um an besonders schwierigen Wegstellen weiterzukommen. Da helfen einem dann Wanderkarten oder Reiseberichte wenig, weil sie eben nur verallgemeinerte Darstellungen des Weges und Geländes bieten können und weder an den Konditionen des Wanderers orientiert sind noch die aktuelle Wetter- und Geländelage berücksichtigen können. Letztere sind aber entscheidend für das sichere Vorankommen.
Nichtsdestoweniger können Wegbeschreibungen und Hinweise die Möglichkeiten zu neuen Aussichtspunkten klären und die Bereitschaft und die Entschlossenheit zu den dafür notwendigen Bemühungen stärken. Und das ist für den Anfang das Wichtigste.
Denn für den ein oder anderen mag es schon ausreichen, zu wissen, dass es Berge, höhere Standpunkte und freiere Aussichten gibt, um zu beginnen, sich dorthin zu orientieren und die Bereitschaft zu entwickeln, das sonst Bewohnte und Gewohnte in Frage zu stellen und zu verlassen.
Für diejenigen, die keinen Drang nach höheren Aussichten und grenzüberschreitendem Weitblick haben, werden Berge nichts weiter sein als unüberwindbare Mauern und die Bilder von erhöhten Aussichtspunkten nichts weiter als Dekorationen für die Wände ihres Lebens. Postkartensammler und Bergsteiger verstehen einander nicht.
Wer aber ist schon nur das eine oder nur das andere? Jeder hat beides in sich, nur in unterschiedlichen Misch- und Dominanzverhältnissen. Jeder Talbewohner hat eine Ahnung davon, dass es mehr gibt als nur die eng begrenzte Welt seiner gewohnten Alltagswege. Zumindest wird er eine Erinnerung daran haben, dass diese Ahnung ihn mal bewegt hat, vielleicht mit 16 oder auch später im Leben, wann immer es darum ging, alte Bequemlichkeiten hinter sich zu lassen und sich für einen neuen Standpunkt zu entscheiden.
Und kein Bergsteiger macht sich ganz ohne Schwermut auf den Weg und schüttelt das Vertraute so leicht ab wie bloßen Staub an den Füßen. Auch wenn es im drängenden, übermutigen Aufbruch überdeckt wird, merkt er doch mit jedem anstrengenden Höhenmeter, was er investieren und was er hinter sich lassen muss, um die erhöhten Freiheiten etappenweise zu gewinnen. Auch er hält die ein oder andere Postkarte von anderen Wanderern in der Hand und braucht sie ebenso wie Wegbeschreibung und Landkarte. Ihm aber dient sie nur als Erinnerung an das, was ihn ruft und drängt, unruhig und immer wieder aufs Neue bereit macht, sich zusammenzunehmen und weiter zu gehen.
Das Leben im Tal ist die Beschäftigung damit, wie man am besten überlebt. Aber erst von den Bergspitzen aus kann man sehen, wofür es sich lohnt zu überleben. Talbewohner sind stolz darauf, wie sie überleben und es geschafft haben, besser als andere zu leben. Nur Bergwanderer können mit zunehmender Höhe sehen, wer oder was von dieser Überlebens-Maschinerie eigentlich profitiert und was es bedeutet, ihr zu entkommen.
Wir werden im Laufe dieses Textes durch ein ziemlich dämmriges Tal gehen müssen, um auf der anderen Seite einen neuen, höheren Berg besteigen zu können. Der Weg durch das „finstere Tal“ mag durchaus von mephistophelischen Feuerwerksbeleuchtungen und anderen kurzweiligen Stimmungsaufhellern begleitet sein, aber sie werden den aufmerksamen Leser nur umso mehr darauf aufmerksam machen, dass ihm das echte Sonnenlicht und die reine Höhenluft fehlen.
Halten wir uns also dafür jene aufmunternden Erinnerungen eines älteren Wanderers parat, die da lauteten: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“.
Der „Stecken und Stab“, an dem wir uns auf diesem Weg immer wieder aufrichten, abstützen und kraftvoll abstoßen können, besteht in der Aussicht, dass eben dieses Durchwandern des reichlich öden Tals Licht in diese unteren Etagen bringen wird, indem wir uns mit ihm vertraut machen ohne darin stecken zu bleiben, und dass es ihm so seine verwirrende oder erschreckende Trübe nimmt. Alles Trübe liegt im Auge des Betrachters und die bevorstehende intellektuell ausdauernde Wanderung durch streckenweise wenig ästhetische Themen kann das Trübe in unserem Blick klären.
Natürlich ist es bei einer Reise über den Ozean immer schöner, in der Kapitäns-Kajüte ganz oben im Schiff zu sitzen und mit hehren Aussichten und großen Visionen den Blick auf den fernsten Horizont zu richten. Wenn aber die Reise stockt und es Probleme mit dem Schiff gibt, dann muss man zuweilen bis ganz nach unten in den Maschinenraum klettern, wo es dunkel, laut und stickig ist, um alles soweit in Ordnung zu bringen, dass man die lange Reise fortsetzen kann und nicht bloß mit den Wellen und dem Wind im Kreis herum schippert. Ein guter Kapitän zeichnet sich dadurch aus, dass er weiß, was zu tun ist, um das Ziel zu erreichen – und wenn es auch große Mühen und Kosten bedeutet. Und ein guter Steuermann ist ein solcher, der nicht nur die Mannschaft im Griff hat, sondern auch die Funktionsweise seines Bootes so gut versteht, dass er es auf hoher See selbstständig reparieren kann.
Dieser Text ist daher vor allem für jene interessant, die eine solche längere Reise zu höheren Standpunkten vor sich haben oder bereits angetreten haben und bemerken, dass etwas in ihrem „Maschinenraum“ ihrem Reiseziel in die Quere kommt oder ihrem Vorwärtskommen zuwiderläuft.
Vorgedanken: Gefangen in welcher Matrix?
Wer die „Matrix“-Filme gesehen hat, wird sich zuweilen gefragt haben, ob es denn diese beeindruckende und erschreckende „Matrix“ tatsächlich gibt, ob der Film nicht vielleicht eine große, bild- und actionreiche Metapher ist für etwas ganz Reales, Wirkliches, etwas, das uns in einer totalitären Täuschung gefangen hält, ohne dass wir es wahrnehmen können. Weniger emotional aufgeladen könnte sich in etwa die gleiche Frage gestellt haben, wer über Platons Höhlengleichnis nachgedacht hat und sich mit akademischen Erläuterungen im Sinne von „Platon plädierte für mehr Bildung, wissenschaftliche Aufklärung und Philosophie für mehr (Lebens-) Weisheit“ nicht zufrieden geben kann.
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Version 15.6.2025
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