Wie wir durch Traumaauflösung als Gemeinschaft zu uns zurückfinden und wieder stark werden können

„Solidarität der Stärke“ bedeutet, sich mit Gleichgesinnten gemeinsam für die Stärken jedes einzelnen einzusetzen. Es bedeutet „Einer für Alle und Alle für Einen“. Es bedeutet auch, Kompetenz- und Leistungsträger im Namen der Gemeinschaft als Vorbilder hoch zu halten und zu fördern, d.h. sich an Stärke und Kompetenz zu orientieren, nicht am Mittelmaß.

Diese Verbindung von Solidarität mit Stärke und vor allem von Solidarität mit der Förderung von Stärken haben wir jedoch verloren.

Wir fördern Schwäche

Wir sind mit dem Gegenteil viel vertrauter: Die Schwächsten sollen die meiste Förderung bekommen! Die Intelligenten, Kreativen, Motivierten und Leistungsstarken sollen zusehen, wie sie alleine klar kommen! Alle Aufmerksamkeit der Verantwortlichen und der Gruppe soll auf die Langsamsten, Schwächsten, Unmotiviertesten, Beschränktesten und Unsozialsten  gerichtet sein. Alle Ressourcen von Zeit, Geld, Unterstützung, Beratung, Ausnahmeregelungen, besonderer Förderung und vor allem privilegierter Rücksicht sollen immer schön nach Schwäche verteilt werden: je weniger jemand leisten kann oder will, desto mehr soll er davon bekommen oder zumindest verlangen dürfen. Die anderen können sich doch gefälligst um sich selbst kümmern, oder nicht? Mit denen müssen wir doch nicht auch noch „solidarisch“ sein!?

Mittelmaß für alle!

Wenn ein Mensch besondere Leistungen erbracht hat, argwöhnen wir reflexartig als erstes einen rücksichtlosen Egoisten oder dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Wenn jemand seine Fähigkeiten oder Errungenschaften zeigt, wollen wir ihn sofort zu schuldbewusstem Schweigen bringen, denn er reizt doch nur den Neid und die Minderwertigkeitsgefühle derjenigen, die weniger haben und können – und das soll nicht passieren, denn sie könnten zornig werden! Wenn jemand etwas Besonderes, Erstrebenswertes oder auch nur Individuelles vorweist, melden sich bei uns gleich konditionierte Skrupel zu Wort und setzen sich im Kollektiv laut und empört für Nivellierung, Mittelmaß und Unauffälligkeit ein – angeblich zum Wohle der Unterprivilegierten.

Das klingt nach Sozialismus und es wäre schön, wenn es sich wenigstens als romantische Politik der Barmherzigkeit herausstellen würde. Stattdessen jedoch entpuppt es sich als Ideologie aus einer Angst-Herrschaft von Scham, Neid und Hass, jenen dunklen Stimmen, die laut werden, wenn Menschen das Gefühl ihrer Würde und Selbstachtung verlieren und sich von Minderwertigkeits­gefühlen und Selbsterniedrigung antreiben lassen. Da lassen Missgunst, Gehässigkeit und Rachegelüste nicht lange auf sich warten und geben den Ton an.

Wenn ohnmächtiger Neid schreit

Solche Menschen sind dann nur noch gegen andere und anderes, sie definieren sich durch ihr „Anti-Sein“: Anti-Kapitalismus, Anti-Atomstrom, Anti-Faschismus, Anti-Männer, Anti-Redefreiheit, Anti-Wettbewerb, Anti-Nationalismus, Anti-Patriotismus, Anti-Grenzen, Anti-Militär, Anti-Diskurs usw. Sie können gegen alles sein, aber sie sind vor allem gegen alles, was mit Stärke, Starksein und Starkwerden zu tun hat. Also eigentlich Anti-Stärke und Anti-Stolz. Sie können nur destruktiv reagieren auf das, was schon da ist. Sie können nicht „für“ etwas sein, bessere Vorschläge machen oder wenigstens eine positive Idee haben. Sie können nur ziellos und verzweifelt das kaputt machen, was nach Kraft und Selbstbewusstsein aussieht. Denn Stolz müssen sie unterdrücken und die Ohnmacht und Scham, die übrig bleiben und sich ausbreiten werden das Erkennungszeichen der neuen Zugehörigkeit: man schreit und zerstört am liebsten anonym und mit vermummten Gesichtern. In der Masse der Beschämten fühlt sich der Einzelne zugehörig und am sichersten, wenn er so gesichtslos wie möglich ist.

Wir können den Effekt so einer Verbundenheit der Schwäche bzw. Ohnmacht auch in Partnerschaften erkennen, in denen sich zwei Menschen nicht gegenseitig in ihren Stärken bestärken und ihre Unterschiede zusammenfügen, sondern sich ständig gegenseitig abwerten, klein halten, beschuldigen, einschränken und so im kleinsten gemeinsamen Mittelmaß enden. Ein trauriger Anblick.

Ich denke, dieser Mangel an Solidarität mit Stärke, Kraft und Kompetenz ist  eines der zentralen Übel,  das an den Wurzeln unserer Gemeinschaft nagt und uns schwach und krank macht: Aber wir sehen diese Ursache unserer Probleme nicht. Wir können sie nicht sehen, weil dieser Schwachpunkt genau auf unserem blinden Fleck liegt. Und dieser blinde Fleck ist wie so häufig das Ergebnis eines Traumas, das unsere Selbstwahrnehmung lähmt und unser Bewusstsein trübt, solange es nicht verarbeitet und als Erfahrung vollständig und wahrheitsgemäß integriert ist.

Die Vermeidungsreaktionen nach Traumata

Über Traumata muss man wissen, dass unser Nervensystem alles, was wir im Zusammenhang mit dem Trauma erlebt haben, damit verknüpfen kann, um es in Zukunft als Warn- und Vermeidungssignal zu nutzen und nicht erneut traumatisiert zu werden. Wenn ich z.B. gerade eine Apfelsine esse, wenn mir etwas Erschreckendes oder Überforderndes widerfährt, kann es sein, dass mein Körper von dem Moment an jedes Mal allergische Reaktionen zeigt, wenn ich Apfelsinen esse. Bei intensiven Traumatisierungen kann es sogar ausreichen, etwas nur von Weitem zu sehen oder sogar nur daran zu denken, um Abwehr- und Schutzreaktionen zu aktivieren.

Besonders fatal ist das natürlich bei Aspekten, die zu einem selbst gehören. Wenn ein Kind in seinen ersten Schultagen für eine Frage oder den Ausdruck einer Meinung bereits so sehr beschämt wird, dass es dies nicht verarbeiten und „wegstecken“ kann, dann kann es passieren, dass es von dem Moment an für den Rest seines Lebens meidet, in Gruppen Fragen zu stellen oder die Meinung auszudrücken. Es kann sogar passieren, dass es das Fragenstellen und Standpunkte-Äußern komplett einstellt und vergisst, warum es das tut. Das ist ein natürlicher, instinktiver Vermeidungsmechanismus, um die Überforderung und Bedrohung der traumatischen Erfahrung nicht wieder zu erleben.

Wenn Stolz tabuisiert wird

Stellen wir uns vor, ein Team von 10-jährigen Kindern macht die schöne Erfahrung, dass es in einem Sportwettbewerb einen großen Preis gewinnt, also für eine starke Team-Leistung belohnt wird. Kurz nach dem Sieg vertritt aber in den Zeitungen eine Gruppe Pädagogen und Politiker die Meinung, diese Sportart sei doch schlecht und unmoralisch, was eine große Diskussion entfacht, auf die hin sich schließlich die Sportinstitutionen beraten lassen und beschließen, diese Sportart nicht mehr anzuerkennen oder sogar zu verbieten. Durch den moralischen Aspekt der neuen Lehre wird sogar tabuisiert, positiv darüber zu sprechen, wodurch der Eindruck von Schlechtigkeit und Verworfenheit noch vergrößert wird. Schließlich kann keiner der Sportler und ihrer Fans mehr nachvollziehen, dass einmal alle so begeistert davon waren.

Was passiert dann mit dem ehemals erlebten Stolz über den Sieg und die gute Teamleistung bei den Kindern der Mannschaft? Er  wird  ebenfalls tabuisiert und emotional in sein Gegenteil verkehrt:. man schämt sich für Sieg und Leistung  und versucht sie  zu verstecken. Und noch drastischer: die Kinder  beginnen, sich ihres Stolzes an sich zu schämen – nicht nur in Bezug auf ihre sportlichen Stärken und Teamleistungen, sondern auf alles. Stolz an sich wird immer mehr tabuisiert, als falsch, schlecht, „unsozial“, böse und verachtenswert betrachtet.

Der Sieg ist jedoch eine historische und biografische Tatsache. Nun müssen die Kinder lernen, ihr eigenes Erleben zu leugnen. Vielleicht verändert sich dazu ihre Erinnerung und sie beginnen sich einzureden, dass sie den Sport eigentlich nie wirklich gemocht haben und irgendwie dazu gezwungen oder „verführt“ wurden. Noch wahrscheinlicher ist aber, dass sie alles damit Zusammenhängende verdrängen und „vergessen“, dass sie diesen Sport überhaupt einmal gemacht haben und darin so erfolgreich waren.

Stolz aber ist ein natürliches, angeborenes Gefühl, und das muss nun verdrängt werden. Nach wenigen Jahren hätten wir in unserem Beispiel Jugendliche, die gar keinen Stolz mehr erleben können und sich stattdessen aus ungreifbaren Gründen selbst hassen. Sie hassen vor allem alles, was sie an die Empfindung von Stolz erinnert und bevorzugen automatisch alles, was Stolz negiert: Anpassung, Selbsterniedrigung, Selbstverleumdung, Selbstbenachteiligung, Unterwerfung, Fügsamkeit, Passivität, Verantwortungslosigkeit und die starke Identifikation mit allem, was Schwäche, Inkompetenz, Unterlegenheit, Abhängigkeit oder Wehrlosigkeit darstellt. Sie müssen eine seltsame Abart von Würde konstruieren, die darin besteht, die eigene Würde aufzugeben und zu verkleinern.

Schwachsein – das neue Ideal

Dann entsteht mit der Zeit ein seltsames Paradox: sie kommen untereinander in einen Wettbewerb der Schwäche, denn nun ist ja Schwachsein das neue Ideal (aus der Negation des Starkseins, aus dem Nicht-stark-sein-Dürfen): wer sich am schwächsten und beschämtesten zeigen kann, bekommt die meiste Aufmerksamkeit, Zuwendung und Förderung. Damit ist die natürliche Funktion der Emotionen bereits komplett pervertiert: wer sich schämt wird Vorbild für alle und wer stolz ist, der soll sich schämen und wird geächtet.

In der Natur ist Scham ein Signal, dass etwas „nicht in Ordnung ist“ und das dementsprechend wahr genommen und kommuniziert wird, damit es in Zukunft besser, z.B. sozialer gemacht werden kann. Stolz signalisiert in der Natur das Gegenteil: etwas ist oder war besonders gut und wichtig oder wertvoll und sollte möglichst von allen Zugehörigen der Gruppe als Vorbild gesehen und hochgehalten werden. Diese Funktionen kann man ganz leicht aus den instinktiven Körperhaltungen ableiten, die diese Emotionen auslösen. Scham: Ich will nicht gesehen werden. Stolz: Ich will ganz besonders gesehen werden.

Kollektives Selbstmobbing und Zerfall

Solange das Trauma nicht bearbeitet und das eigene Erleben darin anerkannt wird, werden die Kinder unseres fiktiven Beispiels später nicht nur sich selbst unterdrücken, sondern auch andere. So entsteht kollektives Selbst-Mobbing, das sich in immer perversere Formen steigern muss, weil jedes Gewinnen (von Aufmerksamkeit oder von Ressourcen) negiert werden muss, während natürlicherweise weiterhin alle danach streben. Die Realität wird doppelbödig und man darf nichts mehr als das zeigen und benennen, was es ist.

Jetzt ist Unterwerfung gleich Macht, Dummheit ist klug, Zerstörung gilt als konstruktiv, Gewinner sind Verlierer, Perversion ist richtig, Asoziales wird sozial belohnt, Ehrlichkeit ist strategisch dumm, Leistung ist ungerecht und muss bestraft werden, Minderheiten bestimmen über die Mehrheit, Unterschiede sind Fehler, Störungen sind der Maßstab und skrupellose Egoisten werden die Vorbilder und Anführer der Gemeinschaft.

Stärke ist Schwäche. Schwachsein ist stark. Diese perverse Logik werden psychisch gestörte Menschen viel besser mitmachen und nutzen können als ein gesunder Mensch, weil sie genug innere Spaltung mitbringen, um sich am Widerspruch nicht zu stören. Sie können A sagen und B tun ohne dabei irgendein Unbehagen zu empfinden.

Merke: in einem kranken System bzw. in einer kranken Gesellschaft sind die Kranken die Könige und die Gesunden die Irren. Eine kranke Minderheit kann so auch eine gesunde Mehrheit steuern und lenken, solange das System nicht angezweifelt und durchschaut wird.

Irre: jenseits der Realität

Der Grund, warum das funktioniert, liegt in der unverarbeiteten Traumatisierung. Aus einem unverarbeiteten Trauma bilden sich (falsche) Überzeugungen, die unter anderem den Zweck haben, den Schmerz des Traumas vom Bewusstsein fernzuhalten. Es etablieren sich völlig absurde und irreale Denkmuster, die zum ungelösten Konflikt des Traumas passen, aber nicht zur gesunden Realität. Diese tief eingravierten Trauma-Überzeugungen wirken unbewusst weiter – sie werden sogar der nächsten Generation weitergegeben, die trotz aller „Rebellion“ und „Befreiung“ auf dieser Schiene bleibt, weil sie unbewusst ist. Man kann etwas nicht durchschauen, wenn man es nicht sehen kann. Und man kann etwas nicht ändern, wenn man es nicht durchschauen kann.

Würden die Jugendlichen in unserem Beispiel sich bewusst machen, dass sie ihre eigenen Erfahrungen und ihren Stolz verdrängt und erstickt haben und dass sie dadurch ein absurdes, widernatürliches System gegen sich selbst errichtet haben, dann könnten sie lernen zu unterscheiden zwischen Damals und Heute, zwischen Stolz und Ungerechtigkeit, zwischen Verantwortung und Schuldgefühlen und zwischen Solidarität und Mitleid. Und dann, nach der Unterscheidung, hätten sie die Freiheit zur Entscheidung: was wollen wir? Was wollen wir wirklich?

Bis dahin geht alles Gesunde, Natürliche, Starke und Aufbauende immer weiter den Bach hinunter und zugrunde.

Kommt jemandem all das irgendwie bekannt vor?

Natürlich brauchen wir eine Solidarität der Stärke!

Unser Problem ist, dass wir Solidarität und Stärke bzw. Starksein getrennt und zu Gegensätzen gemacht haben. Diese Trennung ist unnatürlich und muss deshalb immer wieder künstlich gegen die Natur aufrecht erhalten werden. Ein Wolfsrudel überlebt nur, wenn es die Stärke jedes einzelnen Wolfes anerkennt, einbindet und fördert. Sie folgen dem gesündesten und altruistischsten Wolf als ihrem Alpha-Tier. Nicht dem muskulös stärksten. Was wir „Ökosystem“ nennen ist eine Art Netzwerk  ganz unterschiedlicher Lebewesen, die sich in ihrer Verschiedenheit stärken und im Gleichgewicht halten. Weder gegeneinander noch „alle gleich“. Auch unser Körper besteht aus Organen und Teilen, von denen sich jedes auf seine Art nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gesamtheit einsetzt, und zwar so, dass jedes andere Teil seine individuelle Funktion so gut wie möglich erfüllen kann. Das ist Solidarität der Stärke und der Unterschiedlichkeit.

Im Schulalter lernen Kinder, Solidarität, nämlich die Zugehörigkeit zu und das Engagement für eine Gruppe, mit individueller Stärke zu verbinden. Im Optimalfall lernt ein Kind in dieser Zeit, dass es sich selbst mit seinen Fähigkeiten in der Gruppe voll und ganz zeigen kann, zur Gruppe gehört und sich entsprechend mit seinen Stärken für die Gruppe und ihren Zusammenhalt einsetzen kann. Dabei hat jedes Kind andere Stärken, was auch gut so ist. Jede Stärke kann der Gruppe zugutekommen und Unterschiede sind willkommen. Ein Kind mag besser zuhören und zusammenfassen können, ein anderes ist besser im Ideen-Sammeln und Visionen-Entwerfen, wieder ein anderes kann sich am besten um das Wohl aller kümmern und ein weiteres ist gut darin, Konflikte oder Problem sichtbar zu machen. Das macht die Gruppe stark. Wenn es gut läuft, dann werden diese Kinder die größte Solidarität mit der größten Leistungs- und Einsatzbereitschaft kombinieren – jedes auf seine Weise – und immer bevorzugen. Nicht bloß, weil sie effektiver sind und mehr Erfolg haben, sondern weil es so schlichtweg mehr Freude macht.

Die unnatürliche Trennung von Leistung und Solidarität

Leider lernen Kinder meistens etwas anderes: nämlich die Trennung ins Entweder-Oder. Entweder du bist richtig gut und erntest dafür eine Menge Neid, Missgunst und Ablehnung. Oder du passt dich an, machst das, was die anderen machen, sorgst vor allem dafür, nie aufzufallen und wirst zu einem Mitläufer, der sich und seine Fähigkeiten in der Gruppe nie direkt und kraftvoll zeigen kann – weil du dann nämlich den Gruppenanschluss verlieren würdest. So entstehen die leistungsstarken Einzelgänger und die leistungsschwachen Cliquen-Mitläufer.

Beide sind extrem schwach und benachteiligt im Verhältnis zu Menschen mit einer Solidarität der Stärke. Das ist es, was gute Teams ausmacht. Sie sind unschlagbar auch gegen eine viel größere Anzahl Einzelner, weil sie viel mehr sind als die Summe ihrer Mitglieder. Viele Teamentwickler wissen das und versuchen, die Menschen im Team dazu zu bringen, die künstliche Trennung von Zusammenspiel und eigener Leistung aufzuheben. Die wenigsten wissen jedoch, gegen welch tiefe Kindheitsprägungen und emotionalen Abwehrsysteme inkl. tief sitzender Ängste und Überzeugungen sie da anarbeiten.

Solidarisch mitleiden?

Solidarität entsteht durch gemeinsame Werte oder Ziele und kommt von „Solidität“, d.h. Festigkeit: eine feste gemeinsame Basis haben. Solidarität bedeutet nicht Mitleid, Barmherzigkeit oder Hilfsbereitschaft! Ich weiß nicht, wie wir es geschafft haben, das alles zu verwechseln und Wortbedeutungen so durcheinander zu werfen. Wer heute nach „Solidarität“ für sich oder andere schreit, schreit meistens nach Hilfe und Anerkennung. „Solidarität!“ wird heute immer dann gerufen, wenn es um Minderheiten, Minderbemittelte oder sogar Außenseiter geht. Nach gemeinsamen Werten schaut da keiner. Es geht nämlich um etwas ganz anderes.

Doch diesen eigenen Widerspruch muss man verdecken: Nach Hilfe ruft man nämlich sinnvollerweise diejenigen an, die stärker oder kompetenter sind oder mehr Ressourcen haben. Nun müssen also die Anti-Kompetenten diejenigen anrufen und bitten, die sie für schlecht und unmoralisch halten. Sie lösen das Problem, indem sie „Solidarität“ zum moralischen Appell machen: „Sei doch jetzt endlich mal solidarisch, du Schwein!“. Die Botschaft ist klar: „Ich bin dir moralisch überlegen und muss dich deshalb nicht bitten, auch wenn du stärker bist! Mit meiner selbstdefinierten Überlegenheit kann ich dir Befehle erteilen und dir Schuldgefühle machen (um meine zu übertönen). So funktionieren Sado-Maso-Beziehungen: Der eine fühlt sich immer im Recht und überlegen und der andere fühlt sich immer schuldig und falsch. Das passt gut zusammen.

Ich bin überzeugt, dass wir die künstliche Polarisierung zwischen sozialem Zusammenhalt und persönlichem Engagement, die sich so tief in uns eingebrannt hat, dass wir sie nicht einmal mehr als Thema erkennen können, erst dann auflösen werden, wenn wir sie wieder in Verbindung denken, fördern und leben können. Erst dann können wir den Ausgang finden aus unserer wahnsinnigen und unnatürlichen Logik einer „Solidarität der Schwäche“ mit all ihren ideologischen Auswüchsen, krankmachenden Nebenwirkungen und zerstörerischen Folgen.

Vom kollektiven Trauma zur kollektiven Verwirrung

Das letzte Mal, dass die Deutschen solidarisch und stark zusammen waren, ist durch unverarbeitete Traumata, Scham und Beschämung, Reflexionsverbote und einfache Schuldschablonen dermaßen tabuisiert und negiert worden, dass wir selbst heute , über 70 Jahre danach, in der vierten Generation, immer noch in der psychischen Klemme stecken: wir halten Solidarität und Stärke an sich für böse. Wir bauen sie in unser undifferenziertes und schuldbeladenes Nachbeten des „Nie wieder!“ einfach mit ein: „Nie wieder solidarisch und stark!“ Am Ende führt das zu dem, was wir aktuell meisterhaft verwirklichen: „Nie wieder solidarisch!“ und „Nie wieder stark!“. Das heißt also: Immer gegeneinander – am besten jeder gegen jeden – und so schwach und unfähig wie möglich! Auf dass die kollektive Verblödung und Selbstverstümmelung uns  von allen Schuldkomplexen erlöse!

Die einzigen Eskapaden aus diesem übergreifenden moralischen Verbotskomplex erlauben wir uns in der Wirtschaft als „Teamwork“ gegen die Konkurrenz für mehr Marktanteile und – symbolisch – im Fußball.

Ich befürchte nur, dass wir uns auch dies immer weniger erlauben. Wir waren ja doch schon wieder zu sehr auf dem Weg, richtig gut zu sein. Zu gut, um noch als schwach gelten zu können. Und in der Welt waren wir doch leider schon wieder erkennbar geworden. „Made in Germany“ roch nicht bloß nach braver Leistung im globalen Klassenzimmer, sondern schon wieder nach Identität – nach einer kollektiven Stärke und bewundernswerter Zusammenarbeit. Genau das alles wollen wir doch vermeiden!

Wer auch immer unsere Gegner sind, sie haben verstanden, dass sie uns nur an genau dieser Stelle mit wenig Aufwand klein halten müssen. Indem sie uns nicht zur Besinnung kommen lassen. Indem sie unsere Verwirrung immer wieder hochhalten und unsere Selbstzerfleischung als die eigentliche große Leistung belohnen und fördern. Indem sie uns keine gemeinsamen Werte und Gruppenidentität finden lassen, sondern jede Zersplitterung und Selbstsabotage loben (während sie selbst wohl zusammenhalten wie die Wölfe).

Zurück zur gemeinsamen Stärke

Um aus dieser vernichtenden Schleife heraus zu kommen, müssen wir vor allem das erkennen. Wir müssen innehalten und uns die Frage stellen, warum wir Solidarität immer nur mit Schwachsein verbinden und warum uns Leistung und Stärke per se unmoralisch und asozial vorkommen. Dann sollten wir nachdenken über Möglichkeiten der echten Solidarität und wie sie funktioniert. Wie sie jedem einzelnen zugutekommt und damit die Gemeinschaft als Ganzes stärkt.

Schließlich sollten wir darüber nachdenken, wem wir zuhören und folgen. Welche Werte wir selbst wirklich haben und hoch halten, wer sie teilt und wer uns mit diesen Werten Vorbild und Führung sein kann.

Wir könnten auch – zumindest intuitiv – die Vorstellung wiederentdecken, dass Zusammenhalt und der individuelle Einsatz für gemeinsame Werte, für eine verbindende Identität und für die Förderung jedes Einzelnen in seiner Stärke einfach am meisten Freude, Zufriedenheit, Motivation und Lebendigkeit schaffen (suchen die Pädagogen und Arbeitgeber nicht ständig überall danach?). Wir könnten wiederentdecken, dass Stärke sich schlichtweg gut anfühlt. Dass Stolz eine natürliche und gesunde Empfindung ist, die wir notwendig zum Leben im Gleichgewicht und in jeder menschlichen Gemeinschaft brauchen. Dass jeder von Natur aus auf seine Weise und zusammen mit Gleichgesinnten stark und stolz sein möchte.

Warum wir Menschen mit Atmosphären-Ängsten
ernst nehmen sollten

Es ist sinnlos, einem Psychotiker zu erklären zu versuchen, er sei nicht Napoleon oder dass da doch gar keine grünen Männchen sind, die ihn verfolgen. Ebenso wenig sind neurotische Menschen für rationale Analysen und Reflektionen zugänglich. Warum? Weil der rationale und reflektive Teil ihres Gehirns von überfordernden Emotionen oder unbewältigenden Empfindungen überflutet und außer Gefecht gesetzt ist. Sie agieren Emotionen in Worten aus, aber ohne sinnvolles Denken. Sie mögen rational klingen, sind es aber nicht.

Ebenso zwecklos ist es, Menschen, die Angst vor Klimaveränderungen oder vor zu warmer Luft haben oder glauben, das Klima werde von („bösen“) anderen Menschen kaputt gemacht, diese Angst mit sachlichen und wissenschaftlich fundierten Argumenten ausreden zu wollen. Es spielt für all die Menschen, die in heller Aufregung und Panik über irgendwelche Katastrophenfantasien sind, keine Rolle, ob diese logisch, naturwissenschaftlich begründet, ja überhaupt physikalisch möglich sind. Denn für sie sind sie bereits begründet. Und zwar nicht faktisch real, sondern emotional.

Emotionen sind immer schneller und früher als Gedanken und Konzepte. Wenn wir Emotionen nicht regulieren und verarbeiten können, dann kreiert sich unsere Großhirnrinde irgendwelche Vorstellungen, die zu den Emotionen passen und verzichtet dafür auf die Wahrnehmung der Sinne und logisch-analytisches Denken. Jede psychische Störung und Persönlichkeitsakzentuierung funktioniert so und ist deshalb irrational, nachteilig und unfrei. Aber die Emotionen zwingen den Menschen in irre Konzepte und Verhaltensweisen, auch wenn er sie selbst störend findet und gerne los sein würde.

Das heißt, wir sollten jede Hysterie und Paranoia ernst nehmen – nicht rational, sondern emotional. Die Bilder und Angstfantasien sind Hinweise auf reale innere und unverarbeitete Emotionen und Empfindungen.

So gesehen haben die Klimahysteriker, die „Fridays-for-Future“-Jugendlichen, die empörten Demo-Mitläufer für sich betrachtet Recht. Sie empfinden das Klima, in dem sie leben als unerträglich. Das diffuse Gefühl, dass sie nicht mehr genug Raum zum freien Atmen haben, dass die Atmosphäre irgendwie vergiftet und bedrohlich ist, dass ihnen Vitalität und Lebensenergie um sie herum fehlen und dass sie unter einem permanenten Druck stehen, der ihnen die Luft abschnürt – diese Gefühle sind echt und ernst zu nehmen.

Gefühle und Körperempfindungen jedoch kennen keine Zeit, das heißt wir können im Gefühl nicht unterscheiden, ob es eine Erinnerung ist oder etwas, das sich auf den jetzigen Moment bezieht. Wir fühlen Gefühle immer jetzt. Auch wenn es Gefühle aus unserer Kindheit sind. So funktioniert Erinnerung. Das gleiche gilt für Körperempfindungen und -erfahrungen. Nur unsere Großhirnrinde, die sich viel später entwickelt, kann lernen, zwischen Jetzt-Gefühlen und Erinnerungsgefühlen zu unterscheiden. Und wenn wir das nicht lernen, interpretieren wir auch Gefühle aus unserer Kindheit als Stimmungen und Reaktionen auf unser aktuelles Leben. Wir suchen uns dann die Rechtfertigung für unsere Empfindungen im Nachhinein. Sie müssen nur gefühlsmäßig passen. Das ist der Grund, warum Menschen fanatisch an den irrigsten Vorstellungen, Glaubenssätzen und Ideologien festhalten: weil das die einzige Möglichkeit darstellt, ihre angestauten und unbewältigten Gefühle und inneren Zustände zu erfassen und auszudrücken. Für sie ist das nicht irre, sondern idiosynkratisch korrekt. Es ist nicht logisch, sondern psycho-logisch.

Hilflose Empörung

Könnte es sein, dass eine ganze empörte und aufgeregte Generation, die sich so leicht zu einer vollkommen irrationalen und verhohlen radikal-politisch motivierten Bewegung verführen lässt, darin schlichtweg ihr bisher unartikuliertes Lebensgefühl endlich ausgesprochen findet? Und zwar mit all der Aktivierung, Wut, verkappten Ohnmacht, Hilflosigkeit, Orientierungslosigkeit, Angst und Verzweiflung, die sie genau so erleben und unausgedrückt in sich tragen und die sie nun als gerechtfertigte Empörung endlich so zur Schau tragen können, dass sie gesehen werden?

Allerdings 15 Jahre oder mehr zu spät. Das Gefühl einer chronisch angespannten und schlechten Atmosphäre und eines permanent aversiven und vernachlässigenden Familienklimas ist nachvollziehbar bei einer Generation, deren Eltern so modern sind, dass sie beide Vollzeit arbeiten oder sich noch während der ersten Lebensjahre ihrer Kinder wieder trennen, alles planen und „zeitmanagen“ – sogar die Geburt, die termingerecht als Kaiserschnitt erledigt wird;  sich in Alleinerziehungs- und Patchwork-Experimenten aufreiben, unter dem inneren Druck stehen, perfekte Eltern zu sein und gleichzeitig gar nicht wissen, wie das geht; mehr Wert auf soziale Außenwirkung als auf echte Präsenz legen und ansonsten massiv unter medial überreiztem Aufmerksamkeitsdefizit leiden.

Wie fühlen sich Kinder unter solchen Bedingungen? Mangel an Kontakt und Aufmerksamkeit führt zu einer Hypotonie oder Verkrampfung der Atemmuskeln, was wiederum dazu führt, dass der Atem nicht voll und tief werden kann. Das fühlt sich dann an wie Nicht-genug-Luft-Bekommen. Asthmatiker erleben eine lebensbedrohliche Extremvariante davon. Solche Kinder werden später ihr Leben lang irgendwelche Probleme mit der Luft haben. Sie leben in dem Gefühl, es sei nicht genug davon da oder sie sei zu schlecht oder zu schwer, um darin gut leben zu können. Weil sie nie erfahren haben, wie es ist, frei und leicht zu atmen und zu leben.

Dicke Luft; Quelle: Pixabay.com
Dicke Luft?

Und Mangel an Atem führt zu Mangel an Sauerstoff. Die Wirkungen davon sind so zahlreich, dass sie einen Artikel für sich ergeben würden. Im Grunde gehen dadurch alle Vitalität, Leistungsfähigkeit und Robustheit in den Keller. Und wie fühlt man sich dann? Ständig lustlos, kraftlos, überfordert, unter Druck und eingeengt. Das Kind rebelliert auch dagegen und versucht, für bessere Bedingungen zu kämpfen. Aber weil das nichts bringt, resigniert es und gewöhnt sich an ein Lebensgrundgefühl von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit.

Kommt uns das nicht bekannt vor? Sind das nicht genau die Stimmungen und Töne, die so viele Teenager in diesen Tagen auf den Straßen kundtun? „Ihr zerstört unsere Zukunft“. Das ist richtig. Nur, wie Alice Miller uns schon ausführlich erklärt hat, an den falschen Adressaten gerichtet. Statt es an ihre Eltern zu richten und dann in die Eigenverantwortung zu gehen, plärren sie ihre alten Säuglings- und Kindheitsgefühle auf der Straße gegen imaginäre „Die-da-oben“ und lassen sich für mediale Inszenierungen missbrauchen und politisch lenken. Bemerken es aber nicht in ihrer emotionalen Besessenheit und kindlichen Naivität.

Umweltzerstörung und Luftverschmutzung sind ernste Probleme, denen man sich ernsthaft, also besonnen und reflektiert, strategisch und klug widmen sollte. Das unreflektierte, affektive Geschrei der Verängstigten und Empörten ist ein ganz anderes Problem und sollte damit nicht verwechselt werden.

Die Botschaft hören und ernst nehmen

Ich schlage vor, dass wir die Schreienden und Verzweifelten ernst nehmen. Nicht unbedingt in dem, was sie sagen, sondern in ihrer Unfähigkeit, sich auf erwachsene Weise auszudrücken. Und in dem, was sie eigentlich ausdrücken wollen:

  • dass sie sich ohnmächtig, übergangen und vernachlässigt fühlen,
  • dass sie Angst haben,
  • dass sie zornig sind und mit ihren überbordenden Gefühlen nicht konstruktiv umgehen können,
  • dass sie vor allem Orientierung suchen und brauchen,
  • dass sie lauter Missstände sehen und zu wenig Kompetenzen für eine Veränderung haben,
  • dass sie Hilfe und Unterstützung brauchen, aber Angst haben, nur wieder manipuliert und benutzt zu werden,
  • dass sie wachsen und nicht ohnmächtig in infantilen Verhaltensweisen stecken bleiben wollen,
  • dass sie verstanden werden wollen auch in dem, was sie nicht oder nur ungeschickt ausdrücken können (z.B. in ihren Emotionen und ihrer Haltlosigkeit)
  • dass sie dafür natürlich von vertrauenswürdigen, integren Erwachsenen unterrichtet, angeleitet und gefördert werden wollen und
  • dass sie dafür Erwachsene brauchen, die mehr Erfahrung und Grenzen repräsentieren, souverän Reibungsfläche bieten und verlässliche Stabilität anbieten können – also auf keinen Fall vor pubertären Ausbrüchen auf die Knie sinken oder sich abwenden,
  • dass sie gerne etwas sehr Wichtiges und sehr Persönliches sagen würden, das alle Menschen angeht,
  • dass sie das auch überhaupt nicht politisch meinen, sondern ganz und gar mit sich selbst beschäftigt sind und
  • dass sie trotzdem doch gerne einen guten, sinnvollen Beitrag leisten würden. So wie jeder.

Das sollten wir hören. Und ernst nehmen. Das könnten die wahren Probleme sein. Inklusive der kindlichen Hilflosigkeit, sich nicht verständlich machen zu können. Ein Teufelskreis. Ja, richtig, das „Klima“, in dem Kinder aufwachsen, ist nachweislich in den letzten Jahrzehnten immer schlechter geworden. ADHS, das Syndrom von Aufmerksamkeitsmangel und Hyperaktivierung („Stress“ im Volksmund) ist für Erwachsene schädlich, aber für Kinder und Jugendliche zerstörend. Das hat nichts mit FCKW, Ozon, CO² oder anderen obskuren Theorien zu tun. Aber erdrückend, giftig, beängstigend und überhitzt ist es ganz sicher für sehr viele.

Wir können „CO²“ und alle Klima- und Umweltthemen symbolisch verstehen und ernst nehmen. Ernst nehmen heißt, auf Emotionen eingehen, nicht nur auf Inhalte. Sie an- und aussprechen: Ok, ihr habt Angst und seid orientierungslos. Ihr seid laut und aufgeregt. Nachfragen: Wovor habt ihr Angst? Was genau braucht ihr? Mehr Sicherheit? Mehr Gehörtwerden? Was gibt euch das Gefühl von Machtlosigkeit oder Ohnmacht? Was genau sucht ihr oder hättet ihr gerne? Welche Wirkung hättet ihr gerne? Wie würde eine Lösung konkret aussehen?

Vor allem müssen wir lernen, die Motivation von der Ideologie zu trennen, und auf die erstere eingehen. Sonst verschärfen wir die neurotische Abspaltung, die Kommunikation unmöglich macht, nur umso mehr. Zu einem Gespräch, einer Auseinandersetzung und zu Beruhigung führt das nicht.

Menschen drücken sich so aus, wie sie können. Babys schreien und strampeln. Dreijährige bekommen einen Wutanfall. Achtjährige plappern jede Theorie nach, die man ihnen einimpft. Jugendliche schließen sich einer Sekte oder Demogruppe an, die für sie spricht. Gesunde Erwachsene vertreten und entwickeln eigene Ansichten im Gespräch, im Austausch und in Kooperation mit anderen. Sie schreien nicht.

Und Kultur beginnt damit, dass man es richtig vormacht.

Warum der Teufel blöd ist
und man keine Angst vor ihm haben braucht

Wenn wir hieb- und stichfest beweisen wollen, dass es Gott gibt, dann müssen wir zuerst einmal festlegen, was wir mit dem Wort „Gott“ überhaupt meinen. Sonst wissen wir gar nicht, was wir überhaupt suchen bzw. beweisen wollen. Einigen wir uns darauf, dass „Gott“ eine Bezeichnung für das Allerhöchste ist. Woran erkennen wir das Allerhöchste?

Erstens daran, dass es die Spitze über allem ist, d.h. es gibt kein zweites Allerhöchstes. Mit anderen Worten: alles andere ordnet sich dieser Spitze unter. Man sagt: „Gott ist allumfassend“. Zweitens daran, dass es unabhängig von irgendetwas anderem existiert, d.h. es ist bedingungslos. Also auch unabhängig von Raum und Zeit. Man sagt: „Gott ist ewig“ oder „Gott ist in Ewigkeit“ („Ewigkeit“ bedeutet nicht eine sehr, sehr lange Zeit, sondern Zeitlosigkeit“). Aus diesen beiden Punkten leitet sich ab, dass das Allerhöchste absolut ist, mit anderen Worten: es ist nicht relativ (zu etwas anderem); es bezieht sich nicht auf irgendetwas anderes, sondern ist in sich und für sich ohne den Bezug zu irgendetwas anderem zu brauchen (Bezug = Relation = Relativität). Man sagt: „Gott ist allmächtig“. Das, was absolut ist, ist fester als alles, was relativ ist.

Was also ist absolut, d.h. allumfassend und bedingungslos? Die Wahrheit und das Sein. Zur Wahrheit gibt es kein Gegenstück, denn Unwahrheit, also das was nicht wahr ist, ist auch nicht. Zu sagen „Es gibt keine Wahrheit“ ist ein Widerspruch in sich, denn der Satz macht ja nur Sinn, wenn wir ihn für wahr nehmen. Ebenso ist der Satz „Alles ist relativ“ logischer Blödsinn, denn dies wäre ja eine absolute Aussage, die immer und für alles gelten müsste, also wieder ein absolutes Prinzip ausdrückt.

Was lernen wir daraus? Die Wahrheit, Sein und das Absolute sind verschiedene Begriffe für Das, das nicht nicht sein kann. Und das können wir „Gott“ nennen. Gott ist das, was nicht nicht sein kann, also alles andere was ist umfasst und ewig, d.h. zeitlos ist.

Nicht kompliziert genug

Die meisten erwachsenen Menschen werden diesen simplem Gedankengang und Gottesbeweis für irrelevant oder sogar falsch halten, weil er nicht kompliziert genug ist. Und damit kommen wir zum Teufel. Was ist der Teufel? Was ist das, was uns von Gott, d.h. der Wahrheit, dem Absoluten (Orientierungspunkt!) abbringen kann? Verwirrung. Tiere und gewissermaßen auch Kinder können dieser teuflischen Kraft nicht verfallen, weil sie nicht die Fähigkeit haben, sich mit dem Verstand selbst zu verwirren. Der Verstand hat die Fähigkeit, einfache und wahre Aussagen um 180° umzudrehen und dann an ihnen festzuhalten und sie auszudrücken, als wären sie wahr. Der Teufel sagt: „Alles ist relativ“ und lenkt uns dann wie ein Bühnenzauberer davon ab zu erkennen, dass das bereits eine absolute Aussage ist und also sich selbst widerspricht.

Die zweite Eigenschaft des Teuflischen ist also neben der Verwirrung die Ablenkung. Wenn wir dann weit genug verwirrt und abgelenkt sind, dann können wir auch Sätze speichern und „glauben“ wie „Es gibt keinen Gott“, „Es gibt keine zwei Geschlechter (Polaritäten, männlich und weiblich)“, „Der Mensch ist eine Plage (für den Planeten)“, „Die Erde ist eine Kugel, die bedeutungslos in einem leeren All herumfliegt“, „Oben ist unten“, „Heilung ist Krankheit“, „Krankheit ist Heilung“, usw. Das Teuflische kann so durch Gedanken ein ganzes Netzwerk aus Vorstellungen und Illusionen aufbauen, die immer weiter von der Natur, den Naturgesetzen und der natürlichen oder kosmischen Ordnung abweichen. Die also pervers im eigentlichen Sinne des Wortes sind. Wenn wir mit unserer Aufmerksamkeit dann mehr in diesen Illusionen als in der unmittelbaren Wahrnehmung leben, dann sind wir in der Hand des Teufels.

Die unterschiedlichen Grade an Teuflischkeit kann man daran ermessen, wie sehr die konstruierten Vorstellungen von der natürlichen Ordnung und übergeordneten Prinzipien des Kosmos abweichen. Die tiefste Hölle des Teufels ist der Bereich, in dem es keinen Zugang zur Realität und kosmischen Ordnung gibt und stattdessen alles (in Gedanken) um 180° verdreht ist. Das wäre das totale Chaos (Chaos = Unordnung ist das Gegenteil von Kosmos = Ordnung). Bei einem Menschen würden wir sagen, er ist total gestört, also geistig krank.

Aber: es gibt keine „absolute Hölle“ und kein „absolutes Böses“, denn das würde heißen, dass es ein „absolutes Relatives“ gäbe und das ist logischer Unsinn. Anders ausgedrückt: das Böse, also alles Abweichende lebt davon, dass es ein (!) Absolutes gibt, von dem es sich in immer tiefere und kompliziertere Verstrickungen und Verdrehungen hinein (eigene Illusionen) entfernen kann. Das ist ein Traumzustand, in dem man alle möglichen Dinge träumen kann, ohne dass jedoch der Schläfer selbst sich auch nur einen Zentimeter aus seinem Bett bewegt.

Keine Freude an der Illusion

Andere Bezeichnungen für das Teuflische als Ablenkung von der Orientierung am Absoluten, also auch von der Ordnung und den Gesetzmäßigkeiten der Natur, sind deshalb auch „krank“ (biologisch), „gestört“ (psychisch), „falsch“ (logisch oder moralisch), „kriminell“ (juristisch), „korrupt“ und letztlich „böse“ (spirituell/ethisch). Das Prinzip der Verwirrung und Ablenkung ist jedoch immer das gleiche. Jemanden, der chronisch verwirrt und abgelenkt ist, können wir auch als „blöde“ oder „verblödet“ bezeichnen. Der Teufel ist die Personifikation der Blödheit. Er kann dabei sehr raffiniert sein, so dass die Blödheit nicht sofort erkennbar ist.

Sich jedoch von der Wahrheit, dem Sein und dem Absoluten abzuwenden, um sich in selbst erfundene Illusionen zu verlieren, schneidet einen ab von dem Schönsten und Wertvollsten, dass es überhaupt gibt: Klarheit, Gesundheit, erfüllende Freude, kindliche Lebendigkeit, Ganzheit, Verbundenheit (mit der ganzen Schöpfung) und vollkommener Geborgenheit (im Kosmos). Wer sich davon abwendet, kann nicht anders als verblödet genannt werden – spirituell verblödet, wenn man so will. Das Einzige, was dann hilft, wäre Ent-Blödung. Also der längere oder kürzere Weg zurück zur Anbindung an die absolute Ordnung und zur Orientierung an dem, was wahr ist, also an dem, was nicht nicht sein kann.

Wir brauchen keine Angst vor einer Illusion zu haben. Es ist der Zustand der Angst selbst, der seltsame Phantasien und Realitätsverzerrung hervorbringt. Deshalb „Fürchtet Euch nicht vor dem Bösen“, denn die Furcht (Angst) erzeugt das Böse (Verwirrung und Abweichung). Jemand, der keine Angst hat, kann auch nicht vom Bösen (Teufel, Versucher, Dämon, perversen Fantasien,…) „verführt“ werden.