Philipp, warum schreibst du hier?
Warum nicht?
Nun… also, in der marktwirtschaftlich geeichten Postmoderne ist ja
die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis das Maß aller Rechtfertigung. Deine
Investition ist offensichtlich – was ist der Nutzen?
In erster Linie das Luxusgefühl von Nutzlosigkeit. Oder besser: die
Freiheit, vom Nützlichkeits-Gebot entbunden zu sein. Das entspricht wohl dem
postmodernen Luxus, von dem der sprichwörtliche „Leistungsträger“ nur träumen
darf: etwas Nutzloses tun und darin (trotzdem oder gerade deshalb?)
Genuss finden. Und die nächste Frage, die zeitgeistig anschließen muss, ist…?
Hast du Erfolg?
… genau.
Erfolg ist ja eines der Mohrrüben-Worte, das funktioniert. Eines
von den Schlagsahneworten, mit denen die Systempsyche ihre Rädchen am Laufen
hält. Bei Geld ist das leichter zu erkennen, aber die Idee von Erfolg ist ja
genauso nur ein Ersatz-Stoff, der nie glücklich machen kann, sondern es nur
immer verspricht.
Warum ist Erfolg so attraktiv? „Erfolg“ ist so eine Art Login-Wort zur
fantastischen Welt des Endlich-erfüllt-Seins und Sich-endlich-zurücklehnen-Dürfens.
Aber was soll erfüllt sein? Womit wollen wir gefüllt werden? Nun ja,
die üblichen Verdächtigen: mit Anerkennung, Aufmerksamkeit, erhöhtem
Wohlbefinden, erhöhtem Status, erhöhten Privilegien (volkstümlich genannt
„Macht“) und einem bevorzugten Platz am großen Futtertrog. Dies alles sind ja
bloß Derivate des einen Bedürfnisses, die eigene Singularität zu sichern und
bestätigt zu bekommen – weil sie eben eine fragile Illusion ist. Es ist
eigentlich das Bedürfnis, die Unbedeutsamkeit des Ichs und seiner hoch
aufgestapelten Person zu übertönen und zu übermalen.
Die Alternative wäre: „Du bist nicht besonders.“, d.h., du bist nicht (ab‑)gesondert,
sondern ein Teil vom Ganzen; und die Grenzen sind unscharf, fluktuierend und
beliebig – falls überhaupt welche zu erkennen sind. Das bedeutet die
Kapitulation der „Ich-AG“ vor der Realität des großen Wie-alle-anderen-auch.
Also, wie definiert man „Erfolg“? Ich schlage vor: Erfolg ist das, was erfolgt.
Und was folgt auf den Erfolg? Nun, das weiß jeder: weiter machen, es nicht zu
schwer nehmen und darauf vertrauen, dass morgen die Sonne wieder aufgeht. Aber
wer denkt schon an den Tag nach der Hochzeit?
Und trotzdem gibst du dir hier Mühe… für bestimmte Leser?
Nicht wirklich. Es sind Selbstgespräche. So wie jedes grundehrliche Gespräch
ein Selbstgespräch ist. Allerdings hält mich die Vorstellung von einem
potentiellen Leser zuweilen in einer gewissen Bahn. Z.B. nicht zu ausschweifend
oder nicht zu abstrakt, d.h. mental zu flüchtig zu werden. Ich versuche, Dinge,
die mir mittlerweile klar und einfach erscheinen auch in klare und einfache
Worte zu fassen. Was mir viel weniger gelingt, als ich erwartet habe. Also ist
das Ganze wohl eine Art Schleif- und Übungsprojekt. Mit unbekanntem Ziel. Auf
Anfängerniveau.
Was hat dich dazu inspiriert?
Vielleicht die Erkenntnis, dass ich heutzutage als Typ ohne Blog etwa so bin
wie ein Pastor ohne Gemeindeamt. Oder wie ein Musiker ohne Tourkalender. Wie
ein Marketingexperte ohne Visitenkarte. Oder wie Rumpelstilzchen ohne Königstochter.
Im Ernst, das Zeug, das ich hier schreibe, möchte ich irgendwie aus meinem
System herausbekommen. Es ist eine Art notwendige Grundreinigung, Entrümpelung
und – im guten Sinne – Verausgabung. In der Hoffnung, auf diese Weise Platz
für… naja, halt einfach Platz zu schaffen. Am liebsten freien Platz, der
einfach nur Freiraum bleibt. Nach dem Motto „The rest is silence“.
Ich nehme an, es gibt diesen neurosystemischen Druck, etwas wieder nach außen abgeben zu müssen, wenn man lange Zeit überwiegend aufgenommen hat. Viel Input und wenig Output – dann schafft sich die Natur ein Ventil für ein Gleichgewicht.
Warum hast du nicht vorher schon geschrieben?
Ich hatte immer eine intuitive, vielleicht etwas abergläubische Angst davor,
zu früh öffentlich aufzutreten. Ich kann das bis heute nicht hundertprozentig
begründen. Aber ich sehe heute klarer, dass die meisten Menschen, wenn sie
anfangen, mit Eigenem in die Öffentlichkeit zu gehen, genau dort
steckenbleiben. Da ist ein Sog im Spiel, der die persönliche und rebellische
Weiterentwicklung hemmt und dazu verführt, in eine Produktions-Mentalität zu
verfallen. Also den Mechanismen des Marktplatzes zu unterliegen, statt
unabhängig davon der eigenen inneren Stimme zu folgen. Dafür muss man innerlich
gut verankert und integer sein. Geltungsdrang, der Wunsch nach Anerkennung und
nach einem Image können einen verführen und (ab)lenken, ohne dass man
sich dessen immer gewahr wird. Und was hat man dann? Erfolg!
Dann passiert es z.B., dass man eher schreibt, was andere lesen möchten, als
was man für sich wirklich zu schreiben hat. Dadurch entsteht die Tendenz zur
Mittelmäßigkeit, zur Wiederholung und zum mentalen Stillstand. Man wird zu
einer Marke, bevor man reif ist. Und so verfestigt man sich in einem viel zu
unreifen Zustand, weil das dem Bedürfnis all derer entspricht, die einen als
Bewunderungs-Prothese für mangelndes Selbstwertgefühl einsetzen – d.h. all
derer, die einen auf ein Podest stellen, weil sie selber nicht einmal die
Anstrengung machen wollen, sich aus dem Zuschauersessel zu erheben.
Also, das war ein wichtiger Grund für mich. Ein anderer war, dass ich nicht
das Gefühl hatte, etwas Relevantes zu sagen zu haben. Die Schnipsel von
Gehörtem und Gelesenem zusammen zu kleben und als meinen eigenen Brei zu
verkaufen hat mich angewidert. Das hätte ich nicht respektiert mir selbst
gegenüber. Ich wollte etwas zu sagen haben, das von mir kommt und nicht bloß
Kopie und Wiedergabe ist. Oder eben die Klappe halten, was mehr als ok ist.
Klingt wie eine Empfehlung…
Ich mache keinen Hehl daraus, dass mich die wachsende Flut an „spirituellen“
Lifestyle-Blogs mit Video- und Facebook-Channel von irgendwelchen „Life
Coaches“ gruseln – manche sind gerade mal Mitte 20 oder klingen zumindest so.
Da verkünden mir Menschen salbungsvoll ihre kopierten Ideen und unverdauten
Standard-Weisheiten wie 16-jährige Mädchen, die mit übertriebener Schminke wie
erwachsene Frauen behandelt werden wollen. Dabei verkörpern sie mit allem
anderen etwas ganz anderes, als was sie ins Mikro raunen. Der intellektuelle,
geistige und sprachliche Gehalt kommt mir vor wie wiedergekäuter Brei, wo alle
aus dem gleichen Eimer schlabbern, in den sich irgendjemand aus ihrem eigenen
Geisteskollektiv bei letzter Gelegenheit oder im letzten „Life Experience
Weekend“ übergeben hat.
Das ist ja nicht falsch. Einfach ein Phänomen unserer Zeit. Und das kann
auch der Orientierung des Einzelnen dienen, wenn er es erkennt. Ich frage mich
nur: Was macht das mit den Menschen, wenn sie dermaßen weichgespültes
Wortgebräu zu sich nehmen? Naja, vielleicht will ich das lieber gar nicht
wissen. Ich nehme an, es ist Teil des Teenager-Kults, den sich die
Konsumpriester der Werbung vor über 60 Jahren ausgedacht haben und der immer noch
greift. Neuerdings empfangen wir unsere Erlösungsversprechen und täglichen
Beruhigungs-Oblaten von geistig Peripubertären. Etwas kindisch, nicht?
Ist das der Grund, warum du bis zu diesem Jahr nichts geschrieben
hast, obwohl du danach immer wieder gefragt wurdest?
Ich dachte lange Zeit, es sei Teil eines guten Autorenethos, erst dann
öffentlich zu schreiben, wenn ich es selber kapiert, erfahren und verarbeitet
habe. Alles andere Schreiben davor ist sicher für mich selbst sinnvoll, aber
doch nicht für andere! Das sehe ich mittlerweile etwas differenzierter: das
Denken und Hinterfragen an sich ist mindestens genauso wertvoll wie das
Formulieren von Erkenntnissen und Ergebnissen – wenn es auf den Punkt kommt und
durch die Schichten von Passivdenk und Normalnonsens hindurchbrennt. Vielleicht
ist es sogar wertvoller als fertige Erkenntnisse und Ratschläge. Vorausgesetzt,
dass es zum anarchistischen, d.h. denkenden Teil unseres Gehirns
durchdringt und ihn in gesunde Eigenbewegung versetzt.
Darum geht es dir?
Darum geht es, ja. Das Entscheidende bei allem Schreiben ist die Intention.
Also das Warum im Schreiben. Ich denke, ein geschulter Leser kann in einem Text
relativ schnell herauslesen, welches Warum dahinter steckt. Z.B. ob der Autor
etwas verkaufen will. Ob er ehrlich und transparent ist. Ob er versteht, wovon
er spricht oder bloß Informationen und Meinungen sammelt. Und diese Intention
hinter dem Text oder zwischen den Zeilen verändert die Art, wie der Text
gelesen und aufgenommen wird.
Wem würdest du empfehlen, deine Texte zu lesen?
Niemandem. Wenn ich in die undankbare Situation käme, etwas empfehlen und
dabei ein ernsthaftes Gesicht machen zu müssen, würde ich sagen: geh mehr
spazieren und sitz mehr herum. Ehrlich, nur das könnte ich guten Gewissens
empfehlen. Sich vor einen Bildschirm setzen
und Texte zu lesen? Das würde ich niemals empfehlen. Meine Güte, versuch, von
diesen furchtbaren Geräten und Bildschirmen wegzukommen, so schnell und so lang
wie es nur geht! Für mich ist hier am Computer zu schreiben eher eine Art Nachsitzen
mit Strafarbeit. Wer weiß, welches Karma ich abarbeiten muss…
Die einzigen Personen, die mir einfallen als Leser für dieses Text-Sammelsurium
sind diejenigen, die mich in den letzten Jahren danach gefragt haben, ob ich
nicht mal aufschreiben könne, was ich sonst nur mündlich von mir gebe – in
Workshops oder auf Vorträgen. Keine Ahnung, ob ich das kann. Aber Vielleicht
finden sie ja hier, was sie gesucht haben.
Danke für das Gespräch.
Selbstverständlich.
Zusatzhinweis: Das Gespräch fand ohne Einwirkung exogener bewusstseinsverändernder Substanzen statt.